(HöRSPIELer:) Der zunehmende
Erfolg der EUROPA-Schallplatten fiel zeitlich mit der internationalen
sowie der westdeutschen Studentenbewegung zusammen. Auch Sie wurden während
Ihres Jura-Studiums in Hamburg mit dem entsprechenden Gedankengut konfrontiert.
Haben die linken Ideale der 68er-Generation Sie beeinflusst -
beispielsweise in Bezug auf Karriere, Familie und Männer
?
(Heikedine Körting:) Ich habe damals einige
Vorteile der Emanzipation registriert ohne jedoch persönlich darauf
angewiesen gewesen zu sein, denn ich kann sehr gut mit Männern arbeiten.
Auch hatte ich als Frau nie das Gefühl des Ausgeschlossenseins nach
dem Motto "Du nicht !". Von meinem Vater bekam ich häufig zu hören
"Kann ich nicht gibt es nicht !" - das galt für Mädchen und Jungen
gleichermaßen, denn ich bin ja mit Brüdern aufgewachsen, also
in einer männlich dominierten Welt. Von Kind an war ich eher ein aktiver
Mensch, weniger ein verspielter oder verträumter. Für Schminken
oder Mode habe ich mich nie besonders interessiert, denn ich habe lieber
selber schaffen und machen wollen.
Meine Tante und meine Großmutter waren äußerst selbständig
und auch beruflich erfolgreich. Meine Mutter allerdings hatte sich ganz auf
die Familie konzentriert, wovon wir alle sehr profitierten und was ich selbst
heute noch vermisse.
Heute wachsen viele Ihrer jungen Hörer mit nur einem Elternteil auf.
Dieses Nichtaufgehobensein ist sicher schlimm für Kinder. Viele
Mütter bilden sich ja ein, dass sie ohne Vater erziehen können
- ich bin allerdings der Auffassung, dass ein Vater für jedes Kind dringend
dazu gehört. Andererseits: Was sollen die Frauen machen, wenn sie heute
zu keinem Partner mehr Vertrauen fassen können, um mit ihm viele Jahre
oder möglichst sogar ein ganzes Leben zu verbringen ? Vielleicht sollte
man die Unterschiede zwischen Männern und Frauen wieder etwas mehr betonen,
damit die gegenseitige Anziehung größer wird und die Partner motivierter sind,
Konflikte gemeinsam durchzustehen und den Kindern damit ein Vorbild abzugeben.
Denn woher sollen Mädchen und Jungen das Bewältigen von Krisen
lernen, wenn nicht von beiden Elternteilen ? Das ist möglicherweise
leichter gesagt als getan: Die Zeiten sind nun einmal schnellebig, egoistisch,
kommerziell - nach dem Motto `carpe diem´ ... daher gibt es leider
auch so viele `Problemkinder´. Ich bin jedenfalls sehr dankbar, dass
ich noch in einer richtigen und behüteten Familie aufwachsen durfte.
Neueren Familienmodellen sowie der Aufhebung traditionaler Frauen-
und Männerrollen stehen Sie demnach skeptisch gegenüber ?
Man sollte Frauen, die es wollen, die Karrieremöglichkeiten
nicht verwehren. Aber durch die Fixiertheit auf Beruf und Karriere bringen
sie sich auch um sehr viele schöne Dinge für eine Frau: Bevor sie
alles selber in die Hand nahmen, brachten ihnen Jungen und Männer häufig
mehr Achtung entgegen, was heutzutage ziemlich untergeht. Als ich
anfing zu studieren, hatte ich ebenfalls noch Träume von einer eigenen
großen Familie. Das war aber leider diese unselige Zeit, in der die
Frauen erstmals in der Geschichte -nach Erfindung der Pille- selber über
die Familienplanung entscheiden konnten und zunehmend auch mussten - selbst
wenn viele wie ich noch weitgehend unerfahren waren. Außerdem galt
`frau´ unter Gleichaltrigen als dumm, wenn sie bei einer ungeplanten
Schwangerschaft nicht nach Holland fuhr und das `Problem´ beseitigte.
Diese Entscheidungen zu Zeiten der `freien Liebe´ hatten ungerechterweise
ganz überwiegend die Mädchen und Frauen selbst zu treffen. Für
mich war damals klar: Familie oder Karriere, denn ich war und bin der Ansicht,
dass Frauen beidem gleichzeitig nicht gerecht werden können. Mein Lebensweg
hat mich dann glücklicherweise mit einem Mann zusammengeführt,
mit dem zusammen ich schaffen und machen konnte, wie ich es wollte. Und unser
Haus ist heute dank einiger Patenkinder, Nichten und Neffen glücklicherweise
dennoch selten kinderleer.
Und was denken Sie über die jungen Männer von heute ?
Die sind meiner Ansicht nach total verunsichert, wissen nicht mehr,
was eigentlich angesagt ist , was von ihnen verlangt wird und tun sich deshalb
verständlicherweise schwer damit, die eigene Rolle zu finden. Mir tun
die jungen Männer leid - ich denke, deren Belastung ist viel größer
als früher. Was das anbelangt, wäre es sicher einfacher, wenn junge
Frauen heute wieder etwas femininer wären. Aber das müssen sie
natürlich selber entscheiden. Ganz generell denke ich - und betone das
auch, wo ich kann - dass beileibe nicht nur ein kleiner Unterschied zwischen
Männern und Frauen besteht.
Die Krise der Familie hat meines Erachtens allerdings wenig mit nachlassender
Anziehungskraft zwischen Männern und Frauen zu tun. Die besteht seit
Adam und Eva und wird durch soziokulturelle Veränderungen prinzipiell
nicht beeinflusst. Emanzipation hat tatsächlich stattgefunden, das ist
sehr begrüßenswert. Gleichzeitig hat sie viel Verunsicherung und
Erschütterung der Familienstrukturen verursacht. Aber dafür ist
nicht die Emanzipationsbewegung verantwortlich sondern generell die Widersprüche
der modernen Welt.
Einen eigenen medialen Ansatz zu diesem Thema habe ich übrigens in
unserer Jugendserie `Tom & Locke´ von Stefan Wolf verfolgt, bei
dem wir den Hörern ein gemischtes Detektivduo geboten haben: Der Eine
eine richtige `Jungspartie´ und die Andere eine richtige `Mädchenpartie´,
die trotz aller geschlechterspezifischen Eigenheiten gut miteinander harmonierten.
Das hat mir damals (1982) besonders viel Freude bereitet. Wenn ich die Wahl
hatte, soziale, ethische oder auch religiöse Ausführungen unserer
Hörspielautoren entweder im Hörspiel zu belassen oder herauszuschneiden,
dann habe ich mich immer nach Kräften bemüht, diese Parts nicht herauszukürzen.
Wertevermittlung z.B. über altbewährte Märchen
sind ja ein `Steckenpferd´ von Ihnen. Funktioniert das auch noch im
Jahr 2007 ?
Meines Erachtens, ja. Denn der Zauber von Märchen hat nichts
mit kulturellen Veränderungen zu tun. Er beruht auf `einfachen´,
`ewigen´ menschlichen Bedürfnissen wie Träumen und Erkenntnis.
Darum finde ich es auch sinnlos, Märchen zu `modernisieren´, wie
es vor vielen Jahren Praxis war, als EUROPA mit seinen
konventionellen Märchen-Produktionen erfolgreich auf den Markt kam.
Zu diesen Zeiten, als ich bei der Firma meines Mannes anfing, waren Geschichten
wie `Hänsel und Gretel´ verpönt. Diese wurden von der Konkurrenz
allenfalls in ein modernes Kaufhaus geschickt. Dabei unterschätzte man
allerdings die Fähigkeit der Kinder, die alten Geschichten sehr wohl
in das heutige Leben zu übertragen. Was wurden wir seinerzeit angegriffen
! Märchen waren ja das Hinterletzte ...
Ich habe mich immer gegen diese `Entzauberung´ der Geschichten gewehrt.
Was wäre denn am `Froschkönig´ noch dran, wenn man den König
und seine Tochter als irgendeinen reichen Boss und seine verwöhnte Tochter
á la Paris Hilton darstellen würde ? Nein, Märchen spiegeln nicht
die Gesellschaft, sie zeigen nur, womit Gesellschaften zu tun haben: mit
Menschen und ihren vielen Unterschieden. Daher mache ich mir auch keine Sorgen
um den Verlust des Zaubers oder der Faszination traditioneller Geschichten - sie werden
immer ihre positive Wirkung haben. Das können wir herrlich an kleinen
Kindern bemerken, wenn wir ihnen vorlesen oder ihnen entsprechende Hörspiele
bieten.
Der 68er-Generation ist es zu verdanken, dass Zugangsbarrieren
zum Unterhaltungsmarkt über die letzten Jahrzehnte durchlässiger
wurden. Was zunächst die Chancengleichheit für Benachteiligte verbesserte,
hat sich seit den 90ern umgekehrt und zu einer Vulgarisierung der Populärkultur
geführt. Wie denken Sie über neue Medien, wie über das Internet und
den Rückgang der Professionalität im kommerziellen Hörspielwesen
?
Mit der technischen Entwicklung der Medien ist das kulturelle Leben
natürlich heftig in Bewegung geraten und viele Amateure stürmten
die Bühnen. Das war aber nicht wesentlich anders in den Jahrzehnten
zuvor. Schon immer wurde das kulturelle Leben durch `unprofessionelle´
Quereinsteiger dennoch belebt. Ich bin letztlich ja selber auch einer und
auch immer `unprofessionell´geblieben: Grundsätzlich müsste
man wohl Schauspiel, Regie, Tontechnik usw. studieren, um meinen Beruf `ordentlich´
zu betreiben. Habe ich alles nicht - mein Mann ist immerhin noch ausgebildeter
Tontechniker. Dennoch habe ich die mir von ihm seinerzeit bei EUROPA
gebotene Chance bekommen und auch nutzen können, denn bei den Unterhaltungsmedien
ist `Unordentlichkeit´ oft von großem Vorteil, schon wegen der
Improvisation oder beispielsweise dem Zulassen des Bauchgefühls. Eine
gewisse `Vulgarisierung´ der Popkultur - wie Sie es nennen - gibt es
wohl tatsächlich. Aber meiner Ansicht nach hat `Pop´ immer etwas
Vulgäres, sonst wäre es kein Pop und hätte nicht diese starke
Wirkung. Grundsätzlich bin ich ganz froh, dass es nicht mehr die ungleiche
Wertung von klassischer Musik und Unterhaltungsmusik gibt oder die strikte
Trennung von Kunst und Kitsch. Wer will schon beurteilen, was gut oder schlecht
ist ?
Sie beispielsweise müssen das doch tun als Hörspielproduzentin:
Wenn Sie in Ihrem Studio mit jungen Menschen konfrontiert werden, denen der
Zeitgeist sagt `Du musst einen kreativen Beruf ergreifen´, denen aber
leider die hörbare Begabung für das Metier `Schauspiel´
fehlt, dann müssen Sie sich doch auch irgendwie dazu verhalten. Wird
nicht teilweise von der Unterhaltungsindustrie (z.B. bei `Deutschland sucht
den Superstar´) ein unschönes Spiel mit unsicheren jungen Leuten
getrieben, denen niemand ehrlich sagt `Ergreife doch lieber einen Beruf,
der Dir mehr liegt´ ?
Natürlich werden in der heutigen Medienwelt viele Menschen, ob nun ohne
aber durchaus auch mit Talent `verheizt´. Junge Leute haben es heute
leichter, in die Medien zu kommen - es gibt mehr Zugänge als früher.
Aber das Reinkommen ist einfacher, als den Beruf dann letztlich auszufüllen
und sich dauerhaft zu halten. Ich denke, junge Menschen haben bei dem großen
Angebot heute nicht mehr genug Zeit, sich auszuprobieren, alles zu wollen
und in vieles hineinzuschnuppern. In vielen Schulen werden musische Fächer nicht mehr ausreichend gelehrt. Es mangelt daher an Sicherheit und Harmonie.
Die Prophezeihung von Andy Warhol, dass jeder für 15 Minuten ein Star
sein kann, ist ja eher ein Witz, der sich vielleicht im Traum erfüllt.
Daher würde ich jedem empfehlen und tue das auch immer wieder bei jungen
Schauspielern, wenigstens ein `Basiskönnen´, das einem niemand
nehmen kann, wirklich zu beherrschen. Auch wenn man später einen anderen
Beruf ergreift, ist dies doch enorm wichtig für das eigene Selbstbewusstsein.
Bei mir war dies Jura mit dem zweiten Staatsexamen und später auch eine
eigene Anwaltskanzlei. Vorher wurde ich vielleicht von dem einen oder anderen
Hörspielkollegen belächelt als Freundin von Herrn Dr. Beurmann.
Das hörte dann auf als ich in meinem Briefkopf `Rechtsanwältin´
stehen hatte.
Von den Pädagogen wurden Sie wie andere Hörspielmacher
in den 60er und 70er Jahren aber dennoch ignoriert. Freundlich ausgedrückt.
Für viele von denen war es bereits eine Provokation, dass ich
stets versucht habe, ehrlich mit den Kindern umzugehen und positive, konstruktive
Stoffe bevorzugte. Schallplatten waren in den 70er Jahren bereits ein enorm
verbreitetes Medium in Westdeutschland, welches man von pädagogischer
Seite eigentlich nicht ignorieren konnte. Aber KEIN Lehrer
wollte sich in der öffentlichkeit damit auseinandersetzen. Sie ließen
die Kinder die Platten hören, weil sie es nicht verhindern konnten und
waren dennoch der Meinung, die Kleinen verlernten dadurch das Lesen. Dabei
verkannten sie völlig, dass die Kinder damals schon gar nicht mehr richtig
lesen konnten - nicht zuletzt dank der seinerzeit modernen `Ganzwort-Methode´.
Ich hatte damals Kinder bis zu 14 Jahren zum Vorsprechen im Studio, die nicht
einen einzigen Satz ordentlich vortragen konnten. Ich habe häufig versucht,
mich mit Lehrern zusammenzusetzen, um zu sehen, wie man am besten mit der
Medienflut, von der wir ja ebenfalls ein Teil -wenn auch kein schlimmer-
waren, umgehen könnte. Aber ich vermochte niemanden dafür zu gewinnen.
Die Lehrer haben sich die Stücke nie ganz angehört, sondern waren
stets entsetzt wegen der vielen Geräusche, die in unserern Produktionen
zu hören waren und an denen die Kinder Spaß hatten.
Das ist heute glücklicherweise ganz anders: ca. 2800 Schulen haben
sich gerade an unserem TKKG-Hörspielwettbewerb beteiligt,
bei dem ein von unserem Autor vorgegebener Anfang von den Schülern fortgesetzt
wird. Unterstützt selbstverständlich von den Lehrern. Dennoch bleibt
in meinen Augen das Problem, dass die Kinder der unteren und mittleren Schichten
im Kindergarten zu wenig Anregungen bekommen. Und leider auch in den Familien, in denen häufig die Großeltern fehlen - und sei es `nur´ zum Märchenerzählen.
Frau Körting, vielen Dank für das Gespräch.
Fotos und Illustrationen mit freundlicher
Genehmigung durch Heikedine Körting.