Feature über schwulen Wandel in Deutschland


der HÖRSPIELer Impressum, Datenschutz, Link





Zum HÖRSPIELer-Portal




Feature
'Endlich normal ?
Schwuler Wandel in Deutschland [2005]
Thema des Features ist schwuler Wandel in Deutschland. In der Bundesrepublik gilt die Integration von Randgruppen als hohe Norm, die nur selten hinterfragt wird. Aber wird die vorangetriebene Normalisierung wirklich allen schwulen Männern gerecht? Hierzu äußern sich Jochen Hick (Filmemacher), Michael Bochow (Soziologe), Gloria Viagra (Partygröße) sowie Frieder Hentzelt (Psychologe).
mit Thor W. Müller, Tom Wlaschiha,
Jochen Hick, Frieder Hentzelt,
Gloria Viagra, Michael Bochow u.a.
50 Min. | 45 MB | DOWNLOAD / PLAY





moderne21





FEATURE

Endlich normal ?

Vom Verlust des Besonderen: Schwuler Wandel in Deutschland

Thema des Features von 2005 ist schwuler Wandel in Deutschland. In der Bundesrepublik gilt die Integration von Randgruppen als hohe Norm, die nur selten hinterfragt wird. Aber wird die vorangetriebene "Normalisierung" wirklich allen schwulen Männern gerecht? Hierzu äußern sich Jochen Hick (Filmemacher), Michael Bochow (Soziologe), Gloria Viagra (Partygröße) sowie Frieder Hentzelt (Psychologe).

Als im Herbst 1998 die gerade gewählte rot-grüne Bundesregierung ihre Arbeit aufnahm, widmete sie sich umgehend einem innenpolitischen Thema: Der rechtlichen Emanzipation homosexueller Lebensgemeinschaften. Das Für und Wider der sogenannten `Homo´-Ehe stand über Monate auf der politischen Agenda. Für den kleinen Anteil an heiratswilligen Paaren bei Deutschlands Schwulen und Lesben sollte sich rechtlich einiges ändern. Und auch in der hAmpel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz genießen schwule und - wie viele neuerdings sagen 'queere' - Anliegen klare Priorität.

Moderne Gesellschaften, wie die der Bundesrepublik, tendieren dazu, Minderheiten und Randgruppen verstärkt integrieren zu wollen. So findet in den Lebenswelten schwuler Männer, die mit jenen lesbischer Frauen schwer zu vergleichen sind, seit einiger Zeit ein beschleunigter Normalisierungsprozess statt. In dessen Verlauf zeigt sich immer deutlicher, worin wirkliche Wesensunterschiede zu heterosexuellen Männern liegen; Es wird erkennbar, wo Gegensätze bisher überbetont oder gar konstruiert wurden; Und es tritt offen zu Tage, wo vermeintlich schwule Eigenschaften lediglich aufgrund der Benachteiligung homosexueller Männer in vielen Lebensbereichen entstanden.

Wenn ein Mann sich als `schwul´ bezeichnet, dann wird in der Regel davon ausgegangen, dass diese Eigenschaft neben seiner Sexualität auch sein Sozialleben beeinflusst. Häufig werden zudem weitergehende Rückschlüsse -berechtigt oder nicht- in bezug auf seine Gesundheit, seinen Geldbeutel, seine Mobilität oder seine körperliche Erscheinung angestellt. Natürlich gibt es `den´ Schwulen ebenso wenig wie `den´ Teetrinker oder `den´ Spanien-Urlauber und selbstverständlich sind Männer neben ihrer sexuellen Orientierung auch noch von anderen Eigenschaften geprägt - Das Schwulsein scheint sich für die verbleibenden Lebensbereiche jedoch als besonders folgenreich zu erweisen. Bei Betrachtung der letzten Jahrzehnte ist festzustellen, dass schwule Männer große Fortschritte erzielen konnten.




Endlich normal ?

Existiert eine schwule Identität, ein speziell 'schwules' Wesen ?

Die Politik ist dabei, homosexuelle Lebensformen denen der heterosexuellen Mehrheit rechtlich anzugleichen; Die Wirtschaft richtet immer mehr Werbestrategien nach den vermeintlichen Bedürfnissen schwuler Männer aus; Im Bereich von Medien und Kultur spielen sie wie gewohnt -jedoch zunehmend offener- eine wichtige Rolle; Medizinisch sind sie -nicht zuletzt in Hinblick auf Aids- ihren spezifischen Bedürfnissen gemäß sehr gut versorgt.

`Die Schwulen´ als gesellschaftliche Gruppe haben also Fortschritte in ihrer Integration gemacht. Doch es gibt auch Fehlentwicklungen: Wegen der Political Correctness werden Konflikte mit der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft tabuisiert; Schwule Männer werden von den Massenmedien als lebensfrohe Trendsetter und kaufkräftige Konsumenten verklärt; Hedonismus und Jugendwahn führen häufig zu Vereinsamung und psychischen Störungen.

Wenn man herausstellen will, wo schwule Männer in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts stehen, müssen ermutigende und problematische Entwicklungen gleichermaßen Berücksichtigung finden. Sind schwule Männer wirklich anders ? Teilen sie außer ihrer sexuellen Orientierung noch andere Besonderheiten miteinander, die sie von heterosexuellen Männern unterscheiden ? Es existiert keine schwule Identität, kein speziell schwules Wesen. Dafür sind homosexuelle Männer untereinander zu unterschiedlich; Wie auch die heterosexuellen.

Dennoch gibt es Veranstaltungen, wie die Christopher-Street-Day-Paraden der Schwulen und Lesben in nahezu allen größeren Städten der Bundesrepublik. Dabei zelebrieren jedes Jahr zehntausende Menschen mit den unterschiedlichsten Biografien wichtige Gemeinsamkeiten und mahnen gleichzeitig gesellschaftliche Veränderungen an. Die Erfahrung solch eines gefeierten `wir´-Gefühls kann manchem Schwulen sicher eine Stütze sein. Zumal alte Identitätsstifter, wie die Nation, die Kirche oder die Familie mittlerweile sehr an Bedeutung eingebüßt haben.




Endlich normal ?

Verfälschte Wahrnehmung ?

Es stellt sich die Frage, wer an der Einteilung `homosexuell und heterosexuell´ ein Interesse hat - Vielleicht der Mann und die Frau auf der Straße, die , gibt jemand sich ihnen als schwul zu erkennen, sofort glauben, einen wichtigen Teil von ihm zu kennen. Und dass er eben irgendwie anders ist als ... als irgendwelche anderen. Dieses landläufige Wissen basiert auf Erzählungen, auf Vorurteilen und manchmal auch auf eigenen Erfahrungen. Selten ist es im luftleeren Raum entstanden. So haben diese vermeintlichen Gewissheiten zur Existenz des `Phantoms´ eines besonderen schwulen Wesens beigetragen.

Homosexuelle Männer tun sich keinen Gefallen damit, angebliche Unterschiede zu ihren heterosexuellen Geschlechtsgenossen zu sehr zu verinnerlichen. Das Festhalten an scheinbar schwulen Eigenschaften wirkt aus psychologischer Sicht viel mehr störend auf den persönlichen Umgang zwischen homosexuellen Männern: Schwule Männer als freiwillige Bewahrer der über sie kursierenden Vorurteile ? Als Hüter der Stereotype, unter denen viele zu leiden vorgeben ? Denen die starren Vorbehalte großer Teile der Gesellschaft gegenüber Homosexualität das Leben schwer, manchmal gar unerträglich machen ?

Vorurteile müssen sich nicht zwangsläufig schädlich auswirken: Sie helfen manch einem, sich in der komplexen modernen Gesellschaft zurechtzufinden. Laut Frieder Hentzelt verfälschen sie jedoch häufig die gegenseitige Wahrnehmung zwischen Schwulen, zum Beispiel in gemeinsam genutzten Einrichtungen ihrer Szene:
Oft sind es gar nicht homosexuelle Männer selbst, die die Unterschiede zur heterosexuellen Mehrheit betonen und damit verfestigen helfen. Allein die Existenz zum Beispiel des deutschen Schwulenverbandes aber auch die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten politischer Parteien signalisieren das Vorhandensein weiterer Besonderheiten zusätzlich zur anderen sexuellen Orientierung.




Endlich normal ?

Gut für Wirtschaft und Politik

Schon seit einigen Jahren hat die Wirtschaft homosexuelle Männer als potentiell kaufkräftige Konsumenten entdeckt, derem `wir´-Gefühl es zu schmeicheln gilt. `Die Schwulen´ sind politisch noch immer nicht mitten in der Gesellschaft angekommen, aber die Wirtschaft ist bereits dabei, sie tatkräftig zu umwerben. Der an schwulen Männern interessierte Teil der Wirtschaft macht sich gängige Stereotype zunutze, wie `der Homosexuelle ist modeinteressiert, markenbewusst und -am wichtigsten- meist gut bei Kasse, da er ja kein Geld in das Großziehen von Kindern investieren muss bzw. darf.

Wenn in den vergangenen Jahrzehnten einzelne schwule Stimmen bzgl. der eigenen Unterdrückung laut wurden, so richteten sie sich häufig gegen das herrschende System. Im künstlerisch/kreativen Bereich übte man sich in Subversion - `Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt´ nannte Rosa Von Praunheim 1971 einen seiner wichtigsten Filme.
Im politischen Bereich war man traditionell links angesiedelt. So wirkten schwule und lesbische Aktivisten in den 70er Jahren maßgeblich bei der Gründung der GRÜNEN mit, wo sie seither Gleichstellungspolitik vorantreiben. Dies hatte durchaus Signalwirkung auf die anderen politischen Parteien, die sich dem homosexuellen Wählerpotential ebenfalls nicht verschließen wollten. Die meisten linken Kräfte, so sie sich denn selber noch so einordnen, versuchen sich mangels Alternative inzwischen mit der kapitalistischen Marktwirtschaft zu arrangieren. So hat sich für die Umweltschützer z.B. die ökologische Landwirtschaft etabliert, die Alt-68er haben es sich im Bundeskanzleramt und auf den Regierungsbänken gemütlich gemacht. Und ehemals bewegte schwule Männer ? Haben sie sich inzwischen mit der Erkenntnis angefreundet, dass Kapitalismus und Homosexualität sehr gut miteinander vereinbar sind ?




Endlich normal ?

Vom Verlust des Besonderen: Schwuler Wandel in Deutschland

Nur wenige politische Schwule bedauern den Abschied vom revolutionären und subversiven Potential, das Homosexualität in den 70er und frühen 80er Jahren häufig von linksradikaler Seite attestiert wurde. Damals sahen manche Marxisten schwule Männer durch die unterstellte bürgerliche Unterdrückung in einer entfremdeten Lebenssituation gefangen, die es zu bekämpfen galt. Heute scheint diese Sicht der Dinge nicht mehr zeitgemäß:

Inzwischen regierten Bürgermeister, deren first `Lady´ ein Mann war, die beiden größten Städte der Bundesrepublik und tun offen schwule Männer Dienst in der Bundeswehr. Subversion als Mittel, gegen gesellschaftliche Verhältnisse anzukämpfen, hat scheinbar ausgedient. Bleiben die Tunten - Männer, die Klischees über Schwule durch Übersteigerungen karikieren. Die Fähigkeit, sich Freiräume zu erobern, in denen so etwas wie Narrenfreiheit in puncto Verhalten herrscht, wurde seit jeher von tuntigen Schwulen kultiviert. Wenn es darum geht, gängige Normen und Werte durch Persiflierung zu hinterfragen, dann sind es vor allem sie, die immer wieder Anstoß dazu geben, gängige Frauen- und Männerbilder zu hinterfragen. Dies liegt einigen von ihnen im Blut, ohne dass sie sich darüber Gedanken machen; Andere, wie die Berliner Szene-Größe Gloria Viagra, hinter der ein linker schwuler Mann steht, genießen bewusst ihre Angriffe auf die klassischen Geschlechterrollen und stellen so immer wieder das bipolare Mann-Frau-Schema in Frage.

Zu Zeiten, in denen die Fundamente sozialer Sicherung in der Bundesrepublik erschüttert werden, sehnen sich viele Menschen nach gefestigten Normen und Werten. Daher wollen die wenigsten grundlegende Rollenverteilungen persifliert oder gar nachhaltig in Frage gestellt sehen. Es verwundert kaum, dass heterosexuelle als auch schwule Männer bei härterem wirtschaftlichem Wettbewerb das Zulassen vermeintlich femininer Eigenschaften lieber vermeiden.




Endlich normal ?

Subversion war gestern

'Tunten' und Showtransen wird von politisch konservativen Schwulen häufig der vermeintlich durch sie verursachte Imageschaden vorgeworfen, der ihrer Ansicht nach mit dem Unterstreichen landläufiger Klischees über homosexuelle Männer entsteht; Gleichzeitig wird von linker Seite kritisiert, dass Glamourtunten genau genommen überzeichnete Idealbilder heterosexueller Machomänner verkörpern und somit ein längst überholtes Frauenbild persiflieren.

Viel Feind, viel Ehr´ für die Tunten ? Als Drag Queen, die auf vielen Veranstaltungen vor allem ein schwules Publikum unterhält, versucht Gloria Viagra häufig, gegen eingefahrene Vorurteile in bezug auf Tunten anzugehen. Hierbei wird sie jedoch immer wieder damit konfrontiert, dass das Publikum von ihr erwartet, Klischees zu bedienen. Es mag seltsam anmuten, dass gerade homosexuelle Männer Stereotype bekräftigt sehen wollen. Erklären lässt sich dies allenfalls damit, dass die Bestätigung von Klischees das eigene Selbstbild zu stützen vermag, selbst wenn diese Vorurteile mehr schaden als nutzen. Gloria Viagra, die auch als Djane in Diskotheken arbeitet, kommt nach eigenem Bekunden mit dieser Erwartungshaltung großer Teile ihres Publikums nicht gut zurecht. Sie sieht sich in einer gewissen Verantwortung, ungute Einstellungen durch ihre Arbeit nicht noch zu verstärken.

Schwule Männer sind eine durch ihre sexuelle Orientierung definierte Minderheit. Dadurch, dass Minderheiten sich oft an Mehrheiten reiben, konnte es passieren, dass das Verhalten der heterosexuellen Majorität sich im Laufe der Jahre von schwulen Besonderheiten beeinflussen ließ. Die traditionell immer schon freizügigere Art homosexueller Männer findet außerhalb der schwulen Subkultur zunehmend Nachahmer - Begriffe wie `cruisen´ oder `darkroom´, die noch bis vor einem Jahrzehnt fast nur in reinen Männerkreisen gebräuchlich waren, beflügeln zunehmend die Phantasien auch gemischtgeschlechtlicher Paare.




Endlich normal ?

Homosexualisierung als soziologisches Phänomen

Die sogenannte vermeintliche 'Homosexualisierung' von Menschen oder menschlichem Verhalten war bis vor einigen Jahren noch ein Kampfbegriff der politischen Rechten, den diese selber als Vorwurf verstanden wissen wollte. Aber man kann diesen Ausdruck auch ganz nüchtern und neutral wissenschaftlich-gesellschaftlich verwenden und daraus möglicherweise Erkenntnisgewinn ziehen.

Die heterosexuelle Mehrheit gleicht sich in ihrem Verhalten der homosexuellen Minorität immer weiter an: Soziologen sprechen neuerdings gar von einer `Homosexualisierung´ allgemeiner Lebensstile. Damit ist die Übernahme von Verhaltensweisen gemeint, die früher hauptsächlich schwulen Männern, weniger lesbischen Frauen und vielleicht noch einigen heterosexuellen Dandys zugeschrieben wurden: Man lebt mehr oder weniger freiwillig alleine, hat keine Kinder, unterhält nur noch wenige Bindungen an die Familie und verwirklicht sich selbst.

Wo es vor einigen Jahrzehnten für die Gesellschaft noch nicht von Belang war, ob 3 % der Bevölkerung -Schwule und Lesben- keine oder nur selten Kinder hatten, so ist für die Bundesrepublik mittlerweile die de- facto-Übernahme des homosexuellen Lebensstils durch immer breitere Bevölkerungskreise zu einem großen Problem geworden. Die demographische Entwicklung verdeutlicht, dass der unausgesprochene alte Pakt nicht mehr gilt, der Schwule und Lesben aus der Mitte der Gesellschaft verbannte, in der dann aber -heterosexuell organisiert- auch für ausreichend Nachwuchs gesorgt wurde. Noch wird Schwulen und Lesben ihre überwiegende Kinderlosigkeit politisch nicht zum Vorwurf gemacht. Dies wäre, wo sie in Adoptionsrecht und künstlicher Befruchtung nach wie vor diskriminiert werden, auch nicht redlich. Zudem ist nicht ausgemacht, ob eine vergreiste Gesellschaft zwangsläufig auch eine unglückliche Gesellschaft sein muss. Dennoch ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis die political correctness in der Kinderfrage aufgegeben und homosexuellen Männern wie Frauen ihr einziges biologisches Manko zum Vorwurf gemacht werden wird.




Endlich normal ?

Veränderte Alters- und Familienkonstellationen

In den elektronischen Massenmedien hat sich die Darstellung von Homosexualität und homosexuellen Männern in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Sowohl vor als auch hinter der Kamera bzw. dem Mikrofon fanden Veränderungen statt:

Noch vor 25 Jahren wurden Schwule überwiegend als Bürgerschrecks in Szene gesetzt; wurden Zuschauer oder Zuhörer in diesem Zusammenhang mit lauten Filmemachern oder schrillen Künstlern konfrontiert. Heute treffen die Medienkonsumenten auf zahlreiche scheinbar weichgespülte schwule Bürgerlieblinge - Schlagersänger, Komiker oder Showtransen. Das Fernsehen behauptet sich nach wie vor als das wichtigste elektronische Massenmedium in Deutschland. Daher ist es auch heute nicht unerheblich, wie Homosexualität in TV-Sendungen dargestellt wird, sei es innerhalb erfundener Handlungen oder in Form von Dokumentationen. Jochen Hick hat durch seine besonders in den USA viel diskutierten Filme `Via Appia´ und `No one sleeps´ Erfahrungen mit der kompromisslosen Darstellung männlicher Homosexualität in Mainstream-Medien gesammelt. Hierbei musste er damit umzugehen lernen, dass ein Publikum, hetero- aber auch homosexuell, welches bei Filmen ganz überwiegend an das `Frau trifft Mann´-Schema gewöhnt ist, auf `Mann kämpft um Mann´-Geschichten zum Teil verstört reagiert. Sind Filme dieser Art als Provokation einzuordnen, als Zumutung für die Zuschauer ?

Während nach 1968 mehrere Generationen homosexueller Männer herangewachsen und sozialisiert worden sind, fand eine Normalisierung des schwulen Lebens statt. Das bedeutet eine Angleichung an die in der Gesellschaft üblichen Lebensverhältnisse: Auch hier leben die meisten Erwachsenen überwiegend innerhalb ihrer eigenen Altersgruppen. Selbstverständlich gibt es noch die Eltern, die Großeltern, die Tanten und natürlich bildet die Familie nach wie vor eine entscheidende Instanz - Aber viele Bereiche des geselligen Lebens finden in erster Linie unter Gleichaltrigen statt. Daher sollte das Älterwerden für den schwulen Mann eigentlich kein größeres Problem darstellen als für den heterosexuellen - Letzterer gilt um die 50 klassischerweise als `Mann in den besten Jahren´. Dass Frauen dasselbe Gütesiegel im entsprechenden Alter nicht auch für sich beanspruchen können, steht -und dies hat ebenso Tradition- auf einem anderen Blatt geschrieben.
Lebensweltlich und auch im Bereich schwuler Erotik zu beobachten sind seit einiger Zeit eine Zunahme an durch größere Altersunterschiede gekennzeichnete Paarkonstellationen: Flüchtige Verhältnisse aber durchaus auch Besziehungen zwischen sogenannten älteren 'Daddies' und deutlich jüngeren 'Twinks'. Man kann hieraus rückschließen, dass der sozialisatorisch bedingte Bedarf an der Kompensation sowohl marginalisierter Väterrollen als auch nichtexistenter Söhne im Zunehmen begriffen ist.




Endlich normal ?

Migration als Herausforderung

Die Jugendkultur, vor allem die Popmusik, fixiert sich in Deutschland -dem US-amerikanischen Vorbild folgend- auf stark an der Unterschicht orientierte Ausdrucksformen. Gerade Rap-, R&B- und HipHop-Musik sind unter männlichen Jugendlichen sehr beliebt. In deren Texten und Darstellungen in Videoclipps werden patriarchalische Lebensweisen glorifiziert: Wo in den 70er Jahren Glamrocker und in den 80ern androgyne Discosänger das Musikbusiness bestimmten, wetteifern seit den 90er Jahren Rapper mit Gangster-Image auf den Musikkanälen in ihren Texten und Bildern darum, wer von ihnen der härteste Macho ist oder wer bereits am längsten im Gefängnis saß. Auch wenn der Einfluss der Massenmedien nicht überschätzt werden sollte, bleibt diese erstaunlich langlebige Mode nicht ohne Folgen für Normen und Werte junger Männer in Deutschland, insbesondere solcher aus Migrantenfamilien.

Die Probleme für homosexuelle Männer werden hierdurch nicht geringer. So sehen sich z.B. schwule Schüler in Großstädten mit türkisch- oder arabischstämmigen Mitschülern konfrontiert, für die westlich gelebte Homosexualität völlig inakzeptabel ist und das eigene Selbstbild als Mann ins Wanken bringt. Der Soziologe Michael Bochow hat sich mit Homosexualität in der islamischen Welt auseinandergesetzt und stellte dabei heraus, dass das Schlimmste für einen Mann in diesem Kulturkreis ist, sich nicht als Mann zu verhalten. Das bedeutet, dass alles Unmännliche -in erster Linie Frauen- sich den richtigen, den aktiven Männern unterzuordnen hat. Auf mittlere Sicht besteht immerhin die Hoffnung, dass sich auch türkische Familien als dominante Migrantengruppe dem mitteleuropäischen Umgang mit Homosexualität annähern.
Bis dahin sind nach Michael Bochow die deutschstämmigen Schwulen aufgefordert, mit gutem Beispiel voranzugehen und z.B. junge türkische Schwule nachhaltiger zu integrieren. Selbst wenn nach seiner Ansicht die vielbeschworene `gay community´ -die schwule Gemeinschaft- lediglich eine Fiktion ist - Manchmal aber, wie in diesem Fall, eine notwendige Fiktion. Natürlich gibt es auch unter Migranten junge Schwule. Diese stehen häufig in Konflikt zwischen dem Wunsch an Teilhabe am liberaler gewordenen Umgang mit Homosexualität auf Seiten der deutschen Wohnbevölkerung und des meist sehr repressiven Umgangs mit diesem Thema unter Migranten. Nicht nur, aber eben häufig auch in türkischen Familien.




Endlich normal ?

Selbstverständlich solidarisch ?

Über sehr lange Zeit hinweg wurden homosexuelle Männer in Deutschland unterdrückt. Ihr Außenseitertum kompensierten sie dabei häufig durch übersteigerte Selbstinszenierung. Schon Dannecker und Reiche betitelten 1974 ein Kapitel ihrer Studie über den `gewöhnlichen Homosexuellen´ mit der Feststellung `Aber teuer muss es sein`. Unter Journalisten wurde es ebenfalls zur liebgewonnenen Gewohnheit, Schwule als besonders wohlsituiert und gebildet zu verklären.

Doch ganz so rosarot sieht ihre Welt auch heute noch nicht aus: Homosexuelle Männer behaupten sich zu einem großen Teil in verschiedenen Dienstleistungsbereichen, sind daher allenfalls der Mittelschicht zuzurechnen. Und wie es selbstverständlich erfolgreiche und kreativ tätige Schwule gibt, existiert eben so eine Unterschicht bei Männern, die auf Männer stehen. Ausgrenzung erfolgt über Geld und -damit eng verbunden- dem äußeren Erscheinungsbild.

Es wird deutlich, dass auch homosexuelle Männer sich untereinander häufig weniger tolerant verhalten als es von Angehörigen derselben Randgruppe anzunehmen wäre. Solidarität ist kein Selbstverstand (mehr). In einem Internet-Diskussionsforum für Schwule wurde kürzlich die Frage erörtert, ob die Reaktion der Veranstalter einer schwulen Party gegenüber einer Transgender-Frau korrekt war, die an dieser Veranstaltung teilnehmen wollte, jedoch von den Partymachern abgewiesen wurde. Es wurde kolportiert, dass die Veranstalter befürchteten, die Anwesenheit einer biologischen Frau, die sich als Mann fühlt -als schwuler Mann- könne bei den übrigen Teilnehmern der Sexparty zu einer Ernüchterung führen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass es mitunter auch Angehörigen von Minderheiten schwer fällt, mit Exoten in den eigenen Reihen auf die sensibilisierte Weise umzugehen, die sie selber von der Mehrheitsgesellschaft einfordern.
Von einem einheitlichen Bild, dass schwule Männer sich in Sachen Einkommen, Bildung oder auch Toleranz von der heterosexuellen Bevölkerung abheben, kann also keine Rede sein. Michael Bochow macht dennoch eine Besonderheit der schwulen Subkultur aus, die sie tatsächlich von anderen Subkulturen wie Fußballfans oder Opernliebhabern im positiven Sinne abhebt - auch wenn es mit Sport- und Musikfreunden natürlich Schnittmengen gibt: In vielen typisch 'schwulen' Orten mischen sich demnach soziale Schichten deutlich mehr als es in 'heterosexuellen' Orten üblich ist.




Endlich normal ?

Der Preis für die Normalisierung

Die Standortbestimmung schwuler Männer in Deutschland ergibt, dass diese Bevölkerungsgruppe dem sozialen Wandel genau so ausgesetzt ist, wie die Mehrheit der Menschen. Allenfalls kann festgehalten werden, dass wenn sich ein Mann heute als `schwul´ bezeichnet, die Leute hierdurch weniger über ihn und sein Leben zu wissen glauben als noch vor 20 oder erst recht vor 50 Jahren und dass diese Einschätzung zutrifft.

Große Teile der Bevölkerung begrüßen die Integrationsbemühungen der Politik in Hinblick auf homosexuelle Männer und Frauen. Diese scheinen von der fortschreitenden Individualisierung in der Gesellschaft zu profitieren. Schwule Männer bleiben jedoch nach wie vor eine kleine Minderheit der Bevölkerung, denn die erfreuliche und teilweise hart erkämpfte Liberalisierung der Gesellschaft hat ihren prozentuellen Anteil, anders als von manch konservativem Scharfmacher prognostiziert, mitnichten erhöht. Heutzutage ist es allenfalls ein gutes Stück einfacher geworden, gegenüber anderen zur eigenen Veranlagung zu stehen - Für die meisten bleibt dies schwierig genug.

Sicher werden auch in Zukunft Eltern enttäuscht sein, wenn der Sohn sich outet, werden manche seiner Weggefährten sich nach diesem Bekenntnis von ihm abwenden, werden in ihrer Männlichkeit verunsicherte Heterosexuelle sich Schwulen gegenüber aggressiv verhalten und manches Frauenherz gebrochen - Sollte es für alle diese Erschwernisse nicht einen Ausgleich geben, der sie zumindest teilweise wieder aufwiegt ? Das Besondere im Schwulsein ? Das Andersartige, was homosexuellen Männern seit jeher angedichtet worden war. Ist es ihnen im Sog des Normalisierungsstrudels inzwischen nicht längst abhanden gekommen ?

Das avantgardistische Lebensgefühl; Die Verlockungen einer tabuisierten Sexualität; Die größere mentale Nähe zu Frauen; Das Überwinden einengender Geschlechterrollen; Das Gemeinschaftsgefühl unter Außenseitern ... .Sicher wünscht sich niemand die Repressionen gegen Schwule aus früheren Zeiten zurück - Aber muss die Gegenreaktion auf die Unterdrückung homosexueller Männer zwangsläufig in ihrer vollständigen Entzauberung bestehen ?

In letzter Konsequenz würde diese Normalisierung zur Folge haben, schwule Männer lediglich als regenbogenfarbene Zielgruppe für die Wirtschaft wahrzunehmen; Als bewährte Wählerklientel für eine bestimmte politische Partei; Und die vielleicht letzte Hoffnung für die Hochzeitsausstatter. Vermutlich wird es so kommen und so wird er dann aussehen ... der Preis für die Normalisierung.






Exportschlager `Hatesongs´ ?

Dancehall-Reggae als Anheizer für Homophobie in Jamaika

Sonne, Strand und Schwulenjagd ? Der karibische Inselstaat Jamaika geriet in Sachen Menschenrechte bereits öfter in den Fokus weltweiter Kritik. Kurz nachdem amnesty international (ai) wieder einmal die extrem homofeindlichen jamaikanischen Gesetze angeprangert hatte, wurde im Juni der Gründer der dortigen Schwulenorganisation `J-Flag´ Brian Williamson brutal ermordet. Er war der prominenteste Aktivist der jamaikanischen Bürgerrechtler.

Der ehemalige katholische Priester setzte sich offensiv für verfolgte Schwule und Lesben ein und gewährte ihnen häufig Zuflucht in seiner Wohnung in Kingston. In ihr wurde der 59jährige jetzt erstochen aufgefunden. Nach Bekanntwerden des Verbrechens feierte der Mob den Mord noch in der Nähe des Tatorts. Während `J-Flag´ von einem Hassverbrechen gegen den bekannten Schwulen Williamson ausgeht, bevorzugt die jamaikanische Polizei die Version eines Raubmords, wobei sich beide Motive nicht unbedingt ausschließen. Es gab bereits eine Verhaftung.

Williamsons Tod scheint das Ergebnis einer traurigen Mischung aus staatlicher Unterdrückung von Minderheiten und kulturell verankerter Homophobie zu sein. Fast überall in der Karibik steht Homosexualität unter Strafe – in Jamaika jedoch scheint nach Stephan Cooper von `ai´ „mit das schwulenfeindlichste Klima der westlichen Welt zu herrschen“. Zum einen gibt es dort grotesk anmutend harte Anti-Homo-Gesetze: Bis zu 10 Jahre Haft mit Zwangsarbeit für Schwule, die beim Sex erwischt werden. Zum anderen gehört es für viele der populären heimischen Dancehall-Reggaebands zum `guten Ton´, in ihren Songs zum Mord an Schwulen und Lesben aufzurufen.

Der jamaikanische Reggaestar und Grammy-Gewinner Beenie Man, dessen Plattenfirma Virgin sich sehr beherzt für seine Meinungsfreiheit einsetzt, singt Texte wie „I´m dreaming of a new Jamaica, come to execute all the gays“. Mark Clifford von `J-Flag´ sagt über derartige Songinhalte: „Solche Worte zementieren eine Kultur des Hasses und der Gewalt. Diese Musik verkauft sich genau so gut wie sie tötet. Sie sollte unbedingt vom Ausland boykottiert werden.“ Denn die Popularität zahlreicher jamaikanischer Dancehall-acts in den USA und Europa trägt noch zur Verschärfung der Situation von Schwulen und Lesben auf der Karibikinsel bei. Seit 1997 haben rund 30 Männer den Schwulenhass in Jamaika mit dem Leben bezahlt.

Premierminister Patterson sieht jedoch trotz ausländisch organisierten Protests vor allem aus Großbritannien (`outrage!´) keinen Handlungsbedarf zur Modernisierung der bereits 130 Jahre alten Anti-Homo-Gesetze. Er will von den ehemaligen Kolonialherren keine Ratschläge annehmen. Auch hierzulande wird Dancehall-Reggae immer populärer. Einige dieser Musiker traten letztes Jahr in Köln auf. Auf dem „Sundance“-Festival spielte die Band T.O.K. ihren Song `Chi Chi Man´ (Schwuler), in dem es heißt: „... me and my niggas will make a pact, chi chi men must die and that’s a fact.“ Das sich sonst gerne tolerant gebende Reggae-Publikum soll kräftig Beifall gespendet haben.

Die Veranstalter des Festivals haben sich nach Drängen des LSVD inzwischen von dieser Sorte acts distanziert und geloben für die Zukunft Besserung. Philipp Braun vom Lesben- und Schwulenverband fordert, „dass die Veranstalter diese Bands in Zukunft überhaupt nicht mehr auftreten lassen.“
Um in Europa ein Bewusstsein für die Situation in Jamaica zu schaffen, plant `J-Flag´ demnächst Aktionen in Deutschland