Electro-Industrial ist ein Musikgenre, das in den 80er Jahren aus der Industrial-Musik hervorgegangen ist. Während Electronic Body Music (EBM) minimale überschaubare Strukturen aufweist, tendiert Electro-Industrial zu einem komplexeren und vielschichtigeren Sound mit häufig experimentelleren Ansatz. Der Stil wurde von Skinny Puppy, Front Line Assembly und anderen Gruppen aus Kanada und den Benelux-Ländern entwickelt. Anfang der 90er Jahre entstand aus dieser Musik das Dark-Electro-Genre und Mitte/Ende der 90er Jahre der Aggrotech-Ableger. Nachdem die EBM-Bewegung Anfang der 90er Jahre verblasst war, gewann Electro-Industrial in der internationalen Club- und Musikszene zunehmend an Popularität. Im Gegensatz zum EBM-Stil verwendet Electro-Industrial härtere Beats und einen verfremdeteren Gesang.
Die einzelnen Artikel über verschiedene Bands haben rein subjektiven Charakter. Sie basieren nicht auf Fakten, auch wenn der Eindruck erweckt werden mag. Wenn tatsächlich existierende Produkte (Alben, Vinyls, CDs, mp3s etc.) hier positiv besprochen werden, ist das keinesfalls mit Werbung oder gar Kaufempfehlungen für diese Titel gleichzusetzen, da angenomme werden muss, dass bei der Entstehung, Produktion, Verwertung oder dem Vertrieb Cis-heteronormativ geprägte Personen beteiligt waren und somit nicht ausreichend auf die Belange der LGBTI-Menschen eingegangen wurde. Es mag sein, dass dieser Pauschalvorwurf einige der beteiligten Verlage, Labels, Bands oder deren Umfeld unbegründet trifft, aber wir haben nicht die Mittel, entsprechende Behauptungen, auch wenn sie wahr sein mögen, vollumfänglich zu verifizieren. Daher nochmals: Hier positiv besprochene Musik, gleich welcher Form, wird ausdrücklich nicht zum Kauf empfohlen.
Industrial Dance Music sollte sich gegen Hass, Rassismus und Antinatalismus wenden. Hierfür treten wir ein.
Skinny Puppy
SKINNY PUPPY aus dem westkanadischen Vancouver waren während der entscheidenden mittleren und späten Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die innovativste und nachhaltig wirkendste Electro-industrial-Formation. Die entscheidende Phase ihres Zusammenspiels verbrachten sie als Trio aus Cevin Key Musik, Nivek Ogre Gesang und Dwayne Goettel Musik. Ihr kompromissloser Stil, dunkle und innovative elektronische Tanzmusik als Sound und als Medienprodukt zusammen mit biografischer Konsequenz umzusetzen, suchte in der elektronischen Postpunk-'Szene' seinesgleichen und fand es ganz sicher nicht in medial gehypten Apologeten wie NINE INCH NAILS oder THE PRODIGY und den marktkonformeren Selbstinszenierungen von Trent Reznor und Keith Flint. SKINNY PUPPY blieben die allermeiste Zeit ihres Wirkens verlässliche Avantgarde und sich bis auf Ausrutscher, wie das zu stark mit Alan 'MINISTRY' Jourgensens kooperierende 'Rabies'-Album, überwiegend treu.
Traurige Berühmtheit über ihr Waver-Publikum hinaus erlangten sie, als ihre Musik in Guantanamo Bay im Zusammenhang mit islamistischer Terrorgefahr als musikalische Folter zum Einsatz kam. Körperliche staatliche Zwangsmaßnahmen für politisch-militärische Ziele sind zwar ohnehin in jeder Form abzulehnen, aber in diesem speziellen Fall fanden sie zusätzlich noch in sehr zynisch-antikultureller Ausrichtung statt. SKINNY PUPPY war hier nicht der geringste Vorwurf zu machen, da sie auf diese verbrecherischen Vorgänge keinen Einfluss hatten und lediglich hilflos dagegen protestieren und später Schadensersatz verlangen konnten.
Beim Debüt-Minialbum Bites handelte es sich um verspielte, sehr innovative Elektronik-Musik, wie Smothered Hope, mit sehr viel Sampler-Einsatz, die athmosphärisch teilweise an die Berlin-Phase DAVID BOWIEs erinnert. Der Nachfolger Remission enthält neben dem Klassiker-Titel Assimilate mit The Choke, Deadlines und Last Call noch drei weitere nicht zuletzt wegen Ogres extrem fordernden Gesangs sehr energiegeladene tanzbare Darkwave-Nummern. Das recht durchschnittliche Folgealbum Mind TPI - The Perpetual Intercourse war, obwohl von der Kritik (Wikipedia etc.) hochgelobt, ein musikalischer Rückschritt und eine große Enttäuschung. Lediglich Dig it taugte als Single-Veröffentlichung, die kommerziell tatsächlich auch ein achtbarer Erfolg wurde. Beim 1987 folgenden Cleanse fold and manipulate handelt es sich dann wieder um die gewohnte sehr innovative und handwerklich perfekt anmutende SKINNY PUPPY-Qualität; wiederum mit vier sampletechnisch ausgefeilten tanzbaren Titeln First Aid, Second Tooth, Tear or Beat und Addiction, von denen leider der schwächste letzte, bei dem Ogres Gesang recht verunglückt nach Tom Waits zu klingen versucht, als Single ausgekoppelt wurde und keinen großen Erfolg zeitigte.
Es folgte 1988 das für die Endphase der Achtziger Jahre beste Album VIVIsectVI mit der mehr als unglücklich gewählten Single-Auskopplung Censor und der annehmbaren etwas 'Mainstream'-orientierten Single Testure zu Lasten der wahren Meisterwerke VX Gas Attack sowie Human Disease (S.K.U.M.M.). Das Nachfolgealbum Rabies enttäuschte wegen des bereits erwähnten zu großen gitarrenlastigen Einflusses von Al Jourgensen trotz des Ohrwurms Worlock und des sehr gelungenen Cyperpunk-Tracks Two Time Grime. In den Achtziger Jahren waren SKINNY PUPPY wütend, provokativ und einzigartig. In der folgenden Dekade setzte die Depression ein (wegen des Zusammenbruchs des Sozialismus oder weil man trotz extremen Outputs nur wenig verändert hatte?). Es begann der stetige Niedergang des Trios, das auf Too Dark Park, Last Rights und The Process deutlich weniger Innovationen lieferte, von seiner hochverdienten (!) Substanz als Pioniere und Legenden den Genres zehrte und sich dem Vernehmen nach personell stark auseinanderlebte, was leider mit dem frühen Tod von Dwayne Goettel 1995 endete.
Front242
FRONT242 startete als ein franko-belgisches Electro-Projekt, das harte Tanzmusik perfektionierte und das Ganze in einen testosterongeladenen militärischen Mantel kleidete. Ihre Musik war zwischen den frühen Achtziger und Neunziger Jahren sehr zukunftsweisend und stand in puncto Professionalität und Finesse trotz des etwas derben Auftretens der Mitglieder dem Schaffen einflussreicher Bands, wie SKINNY PUPPY oder CABARET VOLTAIRE, keinesfalls nach. Anders als ihr nahezu toxisch-aggressives Image vermuten ließ, waren ihre Songs durchaus melodielastig und hin und wieder nahezu sentimental. Die Männer um Jean-Luc De Meyer (Gesang) und Richard 23 (Gebrüll/Drums) galten und gelten als Protoband der Electronic Body Music (EBM).
Und wie so häufig ist das meistverkaufte und hochgelobte Album (Front By Front mit der immerhin verdienterweise sehr erfolgreichen Headhunter-Single, aber auch mit Peinlichkeiten wie Im Rhythmus bleiben) das gleichzeitig am meisten überbewertetste - im Gegensatz zum hochkarätigen 'Kraftwerk goes dancefloor'-Erstling von 1982 'Geography' und beispielsweise seinem besten Titel U-Men. Auch die nachfolgende EP No Comment gelang äußerst überzeugend und war beispielsweise mit dem Commando Mix bereits sehr stilpragend für das später entstehende EBM-Genre. Aber den eigentliche Master Hit führten FRONT242 mit Official Version, das verglichen mit den sämtlichen mehr oder weniger enttäuschenden Album-Nachfolgern noch ein letztes Mal vom Gesamtkonzept zu überzeugen vermochte.
Es mag übrigens durchaus sein, dass der militärische Habitus der Band viele Jugendliche der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre in ihrem maskulistischen Weltbild bestärkt hat und dass diese jungen Männer für die durchaus zahlreich vorhandenen kritisch-ironischen Töne von FRONT242 nicht zugänglich waren, aber daran tragen die Belgier keine Schuld. Immerhin war in der 'Blütezeit' der EBM der realexistierende Sozialismus bzw. Kommunismus eine tödliche (nicht nur, aber vor allem) nukleare Bedrohung und Dienst beim Militär war aus diesem Grund noch sehr alltäglich. Die in den letzten Jahren hin und wieder in Darkwave- und EBM-Kreisen die Runde machende Unterstellung, FRONT242—Fans hätten heute vermutlich eine große Affinität zur AfD (bzw. FPO, SVP) kann daher als überwiegend haltlos zurückgewiesen werden.
Cabaret Voltaire
CABARET VOLTAIRE war eine britische Musikgruppe aus der englischen Industriestadt Sheffield. Die Gruppe, die in den Siebziger Jahren ursprünglich von Stephen Mallinder, Richard H. Kirk und zunächst noch Chris Watson gegründet wurde, hat ihren Namen vom 'Cabaret Voltaire', einem Club in Zürich, Schweiz, der das Epizentrum der frühen Dada-Bewegung war. Ihre frühen Auftritte waren vom Dadaismus beeinflusst, aber CABARET VOLTAIRE wuchsen mit der Zeit zu einer der produktivsten und wichtigsten Gruppen, die Pop mit Dance, Techno, House, Dub, experimenteller und elektronischer Musik verschmolzen. Sie waren einer der wenigen Acts, die einerseits tief im abgründigen Underground verwurzelt waren und andererseits nachhaltigen Einfluss auf die Mainstream-Pop- und Dance-Musik hatten.
Ab 1983 stand die Band unter Vertrag bei 'Some Bizzare', mit denen sie eine Trilogie bestehend aus Crackdown (1983), Micro-Phonies und The Covenant, The Sword And The Arm Of The Lord (1985) realisierten. Ihr Stil bewegte sich weg vom ursprünglichen avantgardistischen Industrial und näher zum Dancepop. Crackdown (1983) beweist dies mit atmosphärischen und düsteren Titeln wie dem Titelstück und dem hervorragenden Talking Time, die monoton aber dennoch eindringlich waren. Wie so häufig waren CABARET VOLTAIRE ihrer Zeit voraus und ließen bereits erste Anzeichen für den Techno-Pop erkennen. Das 1984 nachfolgende Micro-Phonies akzentuiert die Rhythmen noch und liefert mit der bahnbrechenden und auch kommerziell erfolgreichen Single Sensoria den bisher größten Erfolg der Band. The Covenant, The Sword And The Arm Of The Lord (1985), abschreckend benannt nach einer Neonazi-Organisation, vervollständigt die Bizzarre-Album-Trilogie, an die sich 1985 auch die prägnante Drinking Gasoline-EP anlehnt, und markiert mit verschärftem Sampler-Einsatz und überwiegend düsteren, wenn auch nicht leblosen, Stimmungen einen Schritt zurück zu elitärem Indie-Pop, wofür insbesondere die treibende Darkdisco-Single I Want You gerechnet werden kann.
Danach beginnt mit dem neuen Produzenten Adrian Sherwood der Abstieg in Richtung Mainstream-Dancefloor: Mallinder und Kirk sind zwar immer noch musikalisch brillant und auf der Höhe der damaligen Zeit, aber die frühere nahezu alleinige Herrschaft über tanzbare Independent-Musik besteht nicht mehr fort. Ihr bestes Album bleibt rückblickend Crackdown, ihr nachhaltigster Hit Sensoria (in seinen verschiedenen Versionen).
à;GRUMH...
à;GRUMH... war eine belgische EBM/Industrial-Band, die 1981 von Phillippe Genion (S#3 Evets) und Jacques Meurrens (J#3 Seuqcaj) gegründet wurde und zwischen 1981 und 1991 aktiv war. Trotz ihrer betont linken inhaltlichen Ausrichtung muss ihre Musik zur eindeutig intelligenteren Kategorie des EBM-Genres gerechnet werden. Sie kultivierten bei ihren Auftritten und bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit teilweise eine betont schwule Ästhetik, was in den Achtzigerjahren tatsächlich noch originell und anders als heute durchaus nicht dem Zeitgeist geschuldet war. Auch waren