Politische Satire: Staatsnah geht die Moderne stiften



Die Aufgabe von Lars Wessel, der `rechten Hand´ von Kuratorin Schmidt-Peters ist es,
die Bewerberinnen und Bewerber um die Stiftungsgelder zu ermutigen,
die Unterschiede zwischen den jeweiligen Initiativen, möglichst deutlich herauszustellen.
Mit schönen Worten und gutem Zureden ist es hierbei nicht immer allein getan.






Die Personen:

Aleyna Gökdal | Manuela Holpert-Mang | Hardy Klaschka

Albrecht Opaschowsky | Sonja Schmidt-Peters | Lars Wessel



S z e n eV



S: Fahren wir mit ihnen fort, Frau Holpert-Mang, wenn sie einverstanden sind.

W: Wir-sind-wichtig.

H: Ja, sehr gerne.

W: Der Name ist Programm, nehme ich an.

O: Das ist er schließlich bei uns allen.

G: Nun lassen sie Frau Holpert-Mang mal loslegen !

H: Zunächst über meine Person ?

S: Das wäre sehr nett.

H: Ich bin in Hannover aufgewachsen und lebe dort immer noch. Eigentlich wollte ich Maschinenbau oder Elektrotechnik studieren – also möglichst etwas Untypisches. Aber dann bin ich doch bei den Sozialwissenschaften gelandet und habe dort meinen Abschluss gemacht. Danach habe ich lange beim NDR gearbeitet als Redakteurin. Verheiratet war ich nur kurz, das war sehr kompliziert, letzten Endes zu kompliziert. Stattdessen habe ich zwei wunderbare Hunde aufgezogen – ohne Unterstützung im Großen und Ganzen. Alleine.

S: mit tröstendem Unterton: Das ist doch auch schön ...Bewerberin Manuela Holpert-Mang

H: Man muss es einmal aussprechen: Das `Single´-Phänomen mutiert ja regelmäßig zu einem Schreckgespenst in unserer Mediengesellschaft. Dabei wird Einsamkeit als intensives Lebensgefühl vollkommen unterschätzt. Und man hebt viel zu wenig hervor, warum wir sie auf uns nehmen: Gesellschaftlichen Fortschritt gibt es nun einmal nicht zum Nulltarif.

W: Gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Fortschritt ?

S: Na, beides vermutlich.

H: Richtig. Eine besonders perfide Unterstellung gegenüber Aktivisten, die sich der Sache des Fortschritts und der Gerechtigkeit verschrieben haben, ist ja, sie würden sich im mittleren Alter bewusst, ihr eigenes Leben vermurkst zu haben; Kompensieren würden sie das dann damit, zusammen mit staatlichen Institutionen strukturell darauf hinzuwirken, dass möglichst viele andere Menschen ihrem Beispiel folgen: Ich leide, also sollen andere auch leiden.

W: Wirklich absurd: Als ob staatliche Entscheidungsträger allesamt Misanthropen wären !

H: Genau. Aber von solchen kruden Thesen ist es dann nicht mehr weit zu der Unterscheidung zwischen zwei Gruppen gesellschaftspolitischer Akteure ...

W: Zwei Gruppen, ja ?

H: ... die eine, welche ich gerade beschrieben habe, und die andere, die sich ebenfalls bewusst ist, ihr Leben ohne Familie und tieferen Sinn unwiderruflich vergeigt zu haben. Aber im Gegensatz zur ersten Gruppe, würden sie alles daran setzen, andere durch Information, Aufklärung und ebenfalls Veränderungen der Strukturen vor dem eigenen `Schicksal´ zu bewahren. Und nun raten sie mal, welche der beiden Gruppen an den Pranger gestellt wird ...

G: Entschuldigung, aber das ging mir gerade zu schnell.

O: Na, die erste natürlich.

G: Aber Frau Holpert-Mang meinte doch zu Recht, die gäbe es gar nicht.

H: Nur als Konstrukt. Als Konstrukt von Moralisten, von `Hass´-Moralisten.

G: Interessant.

K: Das erklärt so manches.

O: Naja.

W: Bleiben wir mal bei den Arbeitnehmern und ihren Entbehrungen: Für die springt ja seit einiger Zeit ihre Initiative `Wir sind wichtig´ in die Bresche ... .

H: So ist es: Immer mehr Menschen treten nun einmal wegen ihrer beruflichen Unentbehrlichkeit in ihrem Sozialleben kürzer – das ist eine Tatsache. Sie bringen große Opfer für das Funktionieren der Wirtschaft und damit das Gemeinwohl. Das hat de-facto häufig den Verzicht auf Familienleben und emotionale Stabilität zur Folge – beides kein Pappenstiel. Man darf das nicht schönreden.

W: Aber irgendwie muss die Gesellschaft darauf doch reagieren.

H: Unsere Initiative 'Wir-sind-wichtig' zollt den betroffenen modernen Bürgerinnen und Bürgern zusammen mit der Politik und der Wirtschaft deshalb größten Respekt. Und wir möchten sie moralisch noch stärker unterstützen, damit das alles auch in Zukunft so weiterlaufen kann, wie es sich jetzt seit Jahrzehnten bewährt hat.

W: Das wäre schön.

S: Das war schön, Frau Holpert-Mang. Ihre Initiative hat ja auch bereits einige Erfolge erzielt.

H: Ja, dabei können wir allerdings auch auf positive Ergebnisse aus anderen Bereichen zurückgreifen: Die publizierte Meinung erweist sich seit vielen Jahren wenigstens hier als ausgesprochen verantwortungsbewusst.

W: Zum Beispiel ?

H: Es wird semantisch beispielsweise schon seit einiger Zeit nicht mehr vom Druck auf die Bürger gesprochen, arbeiten zu `müssen´ - sondern man stellt vielmehr die Errungenschaft in den Vordergrund, arbeiten zu `dürfen´. Gerade bei Frauen - da gab es noch Nachholbedarf.

W: `Dürfen´ klingt allemal besser als `müssen´. Auf welcher Seite stehen sie nochmal ?

S: Selbstverständlich auf der modernen. Das haben wir doch nun gehört.

H: Die vielfältige mediale Reflektion des Phänomens `Armut´ spielt dabei eine Schlüsselrolle: Sie hilft anarchistischen Tendenzen vorzubeugen, nach denen Menschen Erwerbsarbeit als etwas Negatives ansehen. Beim Thema `Armut´ handelt es sich keineswegs um Angstmacherei, sondern um Aufklärung: Dass nämlich sozialer Abstieg und Ausgrenzung eine allgegenwärtige Gefahr darstellen.

O: Geld macht eben doch glücklich. Und weniger Geld eben nicht. Oder eben entsprechend weniger.

K: Oft hat ja schon der Nachbar mehr. Nicht nur, dass er das Radio laut aufdreht.

H: Da ist es nur konsequent, wenn soziale Ungleichheit Dauerthema in den Medien ist: Heute sind die Alleinerziehenden von Armut bedroht, morgen die Rentner und übermorgen die Kinder. Unausweichlich. Da haben Fernsehen und im Radio jede Menge zu aufzuklären.

W: Das tun sie ja auch. Aus allen Rohren – äh – aus allen Kanälen.

H: Das Prekariat vergrößert sich permanent. Über Sendungen, die das thematisieren, wird in den Redaktionsstuben heute gar nicht erst lange diskutiert, sondern die werden gleich geschaltet. In Talkshows, Magazinen und Nachrichten.

O: Nachrichten, ja ? Dazu kann ich nur sagen: Die `Aktuelle Kamera´ kam aus Ost-Berlin, die `Tagesschau´ kommt aus Hamburg.

S: Und ?

O: Das waren und sind zwei vollkommen unterschiedliche Städte ! Fällt mir gerade dazu ein.

H: Ach, das fällt ihnen gerade dazu ein !

K: Wer´s glaubt ... .

H: Demnächst vergleichen sie noch Moskau mit Brüssel. Das damalige mit dem heutigen.

G: Würde mich nicht wundern.

O: Ich kann mich beherrschen.

S: Dann ist es ja gut, Herr Opaschowsky.

O: In Brüssel wurde die Praline erfunden, in Moskau nicht. So einfach ist das.

H: Ja, ja.

S: zu Wessel: Dieser Opaschowsky scheint mir ein echter Quertreiber zu sein.

W: zu Schmidt-Peters: Einen Minuspunkt für `Gewalt-geht-immer´ - ist vermerkt. Für das `Treiben´ bin schließlich ich zuständig.

S: zu Wessel: Allerdings. Machen sie weiter.

W: wieder in die Runde: Ist `Mang´ eigentlich ein chinesischer Name, Frau Holpert ?

G: Was soll das denn jetzt ?

K: Was bezwecken sie denn mit der Frage ?

H: Nein, es ist kein chinesischer Name.

O: Gut pariert !

H: Ich meine: Und wenn ?

G: Genau !

H: Wenn wir schon im Fernöstlichem schwelgen, dann lassen sie mich lediglich erwähnen, dass ich vom Girlie-Look der Mangas einfach nicht lassen kann. Ich finde den einfach zu genial: Das Make-up, die Farben, die Strähnchen.

G: Das steht ihnen !

S: Finde ich auch, Frau Holpert-Mang.

H: Danke, ich mach ja nur den ganz soften Style. Schließlich bin ich auch schon ein bisschen aus dem Teenager-Alter raus. Hätte ich irgendwann mal eine Tochter gehabt, hätten wir sicher viel Spaß mit den Mangas gehabt. Und uns gegenseitig geschminkt.

G: Oder wären zusammen angeln gegangen.

H: Oder auch das. Seufzt.

S: Bleiben sie eben selbst noch ein großes Girlie ... . Heute ist doch zum Glück alles erlaubt. Madonna hat´s vorgemacht.

H: Oh, ja !

G: Die hat wirklich nichts ausgelassen.

W: Was für Projekte betreibt ihre Initiative denn konkret, Frau Holpert-Mang ?

H: Wir planen die Umbenennung einer Fluggesellschaft. Also, wir wirken darauf hin, dass sich wenigstens eine Linie deutlich sichtbar in `Wir-sind-wichtig´ umbenennt. Das sollte am besten dick in grün auf alle Maschinen drauf. Jeder, der wichtig ist, fliegt mit dieser Linie. Also alle ! Alle fliegen.

K: Hauptsache, plumper Aktionismus fliegt nicht plötzlich auf. Oh, Entschuldigung !

S: Nur kein Neid, Herr Klaschka ! So gute Ideen hat eben nicht jeder.

H: Danke, Frau Schmidt-Peters.

O: Diese Wichtigtuerei nervt doch: Alles Chefs und Supermodels in den Fliegern oder wie ?

H: Nur deshalb werden schließlich Flugzeuge gebaut.

S: amüsiert: Nein - im ernst !

H: Doch, wirklich !

K: Ich dachte, es geht darum, möglichst schnell von Punkt A nach Punkt P zu kommen.

H: Nein es geht darum, wie man sich dabei fühlt, von Punkt A nach Punkt B zu kommen. Sonst könnte man ja auch mit dem Zug fahren oder mit dem Schiff.

K: spöttisch: Ach , das ist also der Clou bei der Sache !

H: Got it.

W: zu Schmidt-Peters: Will die uns verarschen ?

S: zu Wessel: Herr Wessel !

H: Wie bitte ?

S: Aber ich muss auch monieren, Frau Holpert-Mang: Mit der Vielfliegerei werden doch keine Probleme gelöst !

G: Im Gegenteil.

H: Oh danke, Frau Gökdal.

W: zu Schmidt-Peters: Punktabzug ?

S: zu Wessel: Punktabzug. Handyklingeln.

K: leicht ironisch: Was für ein schöner Klingelton.

H: Einen Moment, bitte !

S: Wie ?

H: Maren, hallo ! Ich darf mal eben ?

G: Soviel Zeit muss sein, oder ?

W: Wenn sie sich bitte kurz fassen ...

H: Das tue ich immer. Du, Maren, ich bin in Hamburg. Habe ich Dir doch neulich erzählt: Bei dieser spannenden Stiftung. Hmhm. Ja, es läuft sehr gut, wir sind genau genommen mitten drin. Hmhm. Ja, es geht um sehr viel Geld, aber nicht für mich – für die Initiative. `Wir sind wichtig´, unsere. Ja, du weißt das vielleicht, aber andere wissen das möglicherweise noch nicht so genau. Nein, du störst gar nicht. Maren - das hast Du mich ja noch nie gefragt ! Lacht kurz.

S: ungeduldig: Kommen sie denn voran ?

H: zu Schmidt-Peters: Geht schnell ! Finde ich auch: Ja, der neue Kolumnist ist sexy. Auch politisch. Du, aber ich glaube, der ist schon verheiratet. Wir sind gleich fertig ! Genau, dann ist er doch nicht so sexy. Hör mal, Du rufst an wegen unseres Mailand-Trips, nicht ? Hmhm. Nicht direkt sondern nur über Frankfurt ? Hm. Dann müssen wir wohl in den sauren Apfel beißen. Hmhm. Ja, ist in Ordnung: Buch´ den Flug um ! Pause. Aber sicher kann man in Mailand auch am Sonntag shoppen. Die wollen dort doch auch Geld verdienen ... . À propos: Ich muss hier jetzt wieder was tun. Pause. Ja, Küsschen und bis Sonntag. Legt auf. Tschuldigung.

S: leicht ironisch: Naja, das war schließlich `wichtig´.

H: Ja, ich fliege ein bisschen die Wirtschaft ankurbeln mit einer guten Freundin.

W: Hat man gehört.

H: Dafür gibt’s wohl keine Sonderpunkte ?

S: Eher nicht, aber viel Erfolg trotzdem beim Kurbeln.

H: Danke. Ja, alles für die Wirtschaft, nicht ?


Weiter mit Szene VI






DIE SICH BEI moderne21 UM STIFTUNGSGELDER BEWERBENDEN INITIATIVEN:

DIE NAMEN DER BETEILIGTEN SIND AUF DEN JEWEILS VERLINKTEN SEITEN AUFGEFÜHRT