Die Personen:
Aleyna Gökdal | Manuela Holpert-Mang | Hardy Klaschka
Albrecht Opaschowsky | Sonja Schmidt-Peters | Lars Wessel
S z e n eVI
W: Da brummt einem langsam der Kopf.
S: Es wäre eine perfekte Überleitung zur nächsten Initiative gewesen - vielen Dank, Frau Holpert-
Mang - wenn sie gesagt hätten `Ihnen dudelt es langsam im Kopf´, Herr Wessel.
W: Ganz so schlimm ist es dann doch nicht.
K: Dudeln ist sogar überhaupt nicht schlimm. Es wird nur häufig schlechtgeredet.
W: Tschuldigung.
S: Ursprünglich, Herr Klaschka, startete `Dudelstopp´ tatsächlich als Initiative gegen
unfreiwilligen Musikkonsum im öffentlichen Raum – also Musik in Wartezimmern,
Kaufhäusern usw.
O: Und dann haben sie die Seiten gewechselt, nicht wahr ?
K: Wir haben in der Tat den Dialog mit der Musikindustrie gesucht und dann allmählich nicht
mehrheitsfähige Standpunkte revidiert, ja. Dazu stehen wir, dazu stehe ich hier bei ihnen.
S:
anerkennend: Hmhm.
K:
Unsere Initiative `Dudelstopp - Wollen wir Friedhofsruhe ?´ setzt sich heute kritisch mit der
Frage auseinander, wie eine Welt aussehen würde, in der Musik nur noch im Einvernehmen
aller Anwesenden gespielt werden dürfte. Eine Handvoll skurriler Bündnisse und Graswurzel-
bewegungen fordert ja seit einiger Zeit die Einschränkung oder sogar das Verbot kostenlos
bereit gestellter Musik im öffentlichen Raum. Wie gesagt: Vor einigen Jahren gehörte
`Dudelstopp´ auch noch dazu mit dem ihrem damaligen Slogan `Musik ohne Zwang´.
Paradoxerweise haben viele dieser Gruppen ihren Ursprung in Hamburg ...
O: Na, sowas !
K: ... das sind aber in unseren Augen Profilneurotiker und Sonderlinge, die fahrlässigerweise die
sozialen und wirtschaftlichen Folgen ihres Tuns ausblenden. Darüber klärt das neue
`Dudelstopp´ die Menschen auf.
G: Aufklärung ist immer gut.
W: Das ist sehr interessant, Herr Klaschka.
K: Am Tonträgergewerbe und in der Beschallungsindustrie hängen nach neuesten Schätzungen
ungefähr 300.000 Arbeitsplätze. Das ist gerade in der bedrohlichen Kapitalismuskrise, in der
sich der Westen befindet, nicht zu vernachlässigen ...
G: Wow - Dreihunderttausend !
K: ... sicher kommt es in der Branche auch mal zu Fehlentwicklungen und negativen Aus-
wüchsen. Die werden sehr ernst genommen und einzudämmen versucht. Aber es wird natürlich
immer ein paar überempfindliche Menschen geben, die sich gestört oder belästigt fühlen.
W: Einzelgänger.
O: Außenseiter.
K: Wissenschaftler vermuten tatsächlich, dass die schwindende Rücksichtnahme im täglichen
sozialen Miteinander auf veränderte Familienstrukturen zurückzuführen ist: Es fehlen halt
immer öfter Geschwister und Väter. Aber solche Aussagen sollte man bis zur Vorlage solider
empirischer Studien zurückhalten.
G: Absolute Zustimmung ! Spekulation.
H: Die `Familienkarte´ zu spielen – das ist schon arm !
K: Viele Singles sind bereits heute von der Tatsache betroffen, dass die Deutschen immer älter
und damit natürlich auch einsamer werden, das bestreiten wir nicht.
Im Gegenteil: Das sollte Motivation genug sein, gemeinsam mit der Musikindustrie gegen die
aufziehende Friedhofsruhe anzugehen.
Ein tatsächlicher 'Dudelstopp' würde uns dabei nicht weiterbringen.
S: Das leuchtet ein.
K: Meine Initiative sagt: Pulsierende Lautsprecher bringen Leben in die vergreisende Gesellschaft.
Totalitäre Ruhe steht für Einsamkeit und Tod.
W: Das ist gut: Da kann ich also in Zukunft mit bestem Gewissen zu Hause voll aufdrehen.
O: Sicher – falls ihr Nachbar auf Demütigung steht. Und wenn er nicht im Schützenverein ist.
S: Herr Klaschka, jetzt vielleicht erst mal zu ihrem persönlichen Werdegan
G: Wie wird man im
positiven Sinne ein Musiklobbyist und ein Schrecken für die Freunde der Stille ?
K: Ich komme aus Hamburg. Die Stadt war lange Zeit der Standort der Musikindustrie in
Mitteleuropa. Das hat mich wohl geprägt in meiner Bejahung musikalischen Kommerzes.
Als 18jähriger spielte ich sogar in einer Band mit – wir waren zu dritt und nannten
uns `Abortive Gasp´ ...
H: Wie hübsch !
G: ... abgetriebenes Keuchen ? Das lässt den guten Geschmack etwas hinter sich.
O: Aber sollten wir nicht nachsichtig sein gegenüber jungen Männern auf Abwegen ?
G: Auch wieder wahr ...
K: Danke. Der Name war allerdings Programm.
W: Na, sehr erfolgreich waren sie damit wahrscheinlich nicht, oder ?
K: Darauf kam es uns nicht an. Uns war wichtiger, im Dezember `89 – sowieso eine recht wirre
Zeit – in der Szenediscothek `Kir´ das neue Jahrzehnt einzuläuten: die Neunziger.
O: Einzuläuten ...
K: Wir haben jedenfalls geläutet und nicht gedudelt. Das Dudeln besorgten damals andere.
Ich denke da vor allem an David Hasselhoff und die Scorpions. Naja, wirklich geschadet hat´s
auch nicht. Geile Zeiten, total geile Zeiten.
W: Ich befürchte, wir drehen uns gerade etwas im Kreis ...
S: Vielen Dank für das schöne Hörgemälde, Herr Klaschka.
K: Hm.
W: ... verbal dudeln wollen wir ja schließlich auch nicht.
S: Immerhin: Ihre Frisur haben sie ja aus jener Zeit halbwegs nach heute hinüber gerettet,
wenn ich mal so sagen darf, Herr Klaschka.
K: Yes, wave isn´t dead. It never will be.
O: Ja, die sterben tatsächlich nie aus – die grundguten Popper.
K: Die Gefahr sehe ich bei den ewigen Assis leider auch nicht.
H: Nun ist aber gut !
G: Mal etwas mehr Östrogen, wenn ich bitten darf.
Weiter mit Szene VII