Initiative `Wir-sind-wichtig - Der Wirtschaft zuliebe !´C. Kölln und C. Köpp bei den Aufnahmen zu `Gehobene Narrenfreiheit´ (1996) in Hamburg-Eilbek




HÖRSPIEL-SCRIPT

Getrübte Einigkeit

(Teil I - II - III - IV - V - VI - VII - VIII - IX - X)


"Vertrauen ist gut, Konsum ist besser"



ARNO Das ist ja wirklich ganz erbärmlich ! Ein Land, in dem sogar schon die

Künstler, die schließlich fast in allen Industrienationen eine Sonder-

stellung innehaben, zu Skrupeln neigen, muss ja wohl schon richtig

schlimm vom liberalen Zeitgeist verunstaltet sein.

Da kriegt man doch Zustände, wenn man sowas hört !

LINDA Manchmal meine ich direkt, die Grenzen des Wohlstandsgefälles

könnten sich verschieben, und zwar zu unseren Ungunsten.

RICHARD Damit muss man jederzeit rechnen.

LINDA Das beunruhigt mich wirklich ! Kann man dagegen nicht irgendwelche

Vorkehrungen treffen ?

DORIS Wohl kaum.

ARNO So sehr haben Sie sich schon an Ihre Privilegien gewöhnt, Linda ?

LINDA Ja, schon.

DORIS Jetzt hat Arno ja wieder was gefunden, wo er sich aufspielen kann !

ARNO Ich will Ihnen etwas sagen: Wenn Sie wirklich unabhängig sein wollen,

müssen Sie in der Lage sein, jederzeit auf Ihren Wohlstand zu ver-

zichten; Zumindest auf einen Teil davon.

Nur mal aus Interesse: Fällt von Ihnen jemandem etwas ein, was er,

wenn er die Dinge einmal auf den Prüfstand der Sinnfälligkeit stellt,

eigentlich gar nicht benötigt ?

DORIS Ja, mein Urlaub im Frühling mit Peter in Irland: Auf den hätte ich glatt

verzichten können, ich meine auf Peter.

Was ursprünglich dazu gedacht war, eine Beziehung zu festigen, ent-

puppte sich schnell als Versuch, neue Abhängigkeiten zu schaffen,

nachdem die alten langsam ihre Wirkung verloren hatten.

LINDA Ist ja interessant !

DORIS Also, von der landschaftlichen Schönheit hatte ich jedenfalls nicht

soviel als ich ihm erklären musste, dass ich zugunsten seiner, in meinen

Augen moralisch fragwürdigen Tätigkeit als leitender Angestellter einer

Großbank und zwecks Gründung einer Kleinfamilie nicht bereit wäre,

meine Arbeit in der Beratungsstelle für die Opfer allzu emotionalisierter

Rechtsprechung bei Eigentumsdelikten aufzugeben.

Das führte dann natürlich zwangsweise zur Beendigung unserer Beziehung.

Nur gut, dass die Zimmer in der Pension dicke Wände hatten ! Das war

so eine richtig urig umgebaute irische Kate, wissen Sie ?

RICHARD Ich finde, das hast du richtig gemacht, dich von deinem Freund zu

trennen, Doris. Als ob es etwas Wichtigeres geben könnte als in einem

Land, in dem Eigentum das höchste Gut darstellt, die armen Schweine,

die an seiner scheinbar ungerechten Aufteilung zu rütteln versuchen,

vor der gnadenlosen Verfolgung der hiesigen Justiz in Schutz zu

nehmen !

ARNO Die ist ja wirklich nahezu unerträglich, deine Klassenkampfrhetorik,

Richard ! Die hast du wohl von Doris übernommen ! Darüber müssen

wir uns irgendwann noch einmal in Ruhe unterhalten.

Und überhaupt, Doris: Das wollen Sie uns als Verzicht verkaufen ?

Haben Sie durch Ihre zugegebenermaßen emanzipierte Entscheidung

und die daraus resultierende Trennung von Ihrem Freund damals nicht

eigentlich nur Ihre Freiheit zurückgewonnen, auf dem Markt der ein-

samen Herzen Ihr Fleisch erneut mit gutem Gewissen zwecks Kontakt-

aufnahme zur Schau tragen zu können ?

Bei Ihrer Ausstattung doch mit Sicherheit ein Lustgewinn für Sie !

DORIS Sie haben recht, das hatte ich nicht bedacht. Natürlich war es ein

Gewinn ! Ich kann Ihnen sagen: Prickelnd, wenn man es versteht, die

One-Night-Stands, neben denen man morgens aufwacht und deren

Namen man möglichst bald wieder vergessen möchte, zu verdrängen.

Hoppla, das sind jetzt aber eigentlich sehr intime Details aus meinem

Privatleben !

LINDA Das haben Sie ja wirklich früh gemerkt !

DORIS Sie hätten mir ja mal was sagen können ! Sie sind doch sonst auch

nicht so zurückhaltend !

ARNO Vor uns brauchen Sie nun aber doch keine Hemmungen zu haben !

DORIS Na, ob ich Ihnen wirklich so ohne weiteres trauen kann ?



ARNO als VERKÄUFER

Doris als KUNDIN

Linda als 2. KUNDIN



Einige Stimmen und Kaufhausmusik im Hintergrund.


KUNDIN Diese Bluse, was kostet die bitte ?

VERKÄUFER Achtundneunzig. Wenn Sie allerdings noch das passende Auftreten

dazu kaufen wollen, wird es teurer.

KUNDIN Sie ist recht gewagt geschnitten, meinen Sie das ?

VERKÄUFER Und Sie sind doch eigentlich keine Frau, die es nötig hat, mit vorder-

gründigen Reizen zu spielen, habe ich nicht recht ?

KUNDIN Das erkennen Sie ?

VERKÄUFER Merke ich doch sofort.

KUNDIN Das nenne ich Menschenkenntnis ! Kann ich Ihnen trauen ?

Sind Sie diskret ?

VERKÄUFER Das müssen sie mich doch nun eigentlich nicht mehr fragen.

KUNDIN Nein, offensichtlich nicht.

VERKÄUFER Warum wollen Sie sich den Fummel also kaufen ? Dieses ordinäre Teil,

welches Ihrem Geschmack doch nun wirklich überhaupt nicht gerecht wird.

KUNDIN Es ist nicht etwa so, dass ich mit solch einem gefälligen Äußeren bei

irgendeinem Mann Eindruck schinden möchte...

VERKÄUFER Wie schade !

KUNDIN Vielmehr geht es mir darum, mich dazu zu überwinden, mich aufreizend

anzuziehen. Das bereitet mir Schwierigkeiten, wissen Sie ?

Ich bin nämlich irgendwie sehr puritanisch.

VERKÄUFER Ein puritanisches Mädchen !

KUNDIN Wollen Sie sich doch über mich lustig machen ?

VERKÄUFER Das ist jetzt, wo es aus Ihnen ´raus ist, wohl gar nicht mehr nötig.

Das ergibt sich sozusagen von selber.

KUNDIN Sie haben mich ´reingelegt !

VERKÄUFER Es sieht ganz danach aus. Und zu Ihrem kleinen Problem kann ich nur

sagen: Es soll da ganz ausgezeichnete Ärzte geben, die sich auf diesen Gebieten auskennen. Vielleicht ist es bei Ihnen ja noch nicht zu spät.

KUNDIN Wie kann man jemanden wie Sie nur als Verkäufer auf die Leute los-

lassen ?

VERKÄUFER Nehmen Sie es mir bitte nicht übel: Aber die Frage ist mir jetzt zu

viktimologistisch.

Pause.

KUNDIN Meine Frage, wie man jemanden wie Sie nur auf ahnungslose Kunden

loslassen kann, ist Ihnen zu viktimologistisch ?

VERKÄUFER Das habe ich eben gesagt, ja.

KUNDIN Und was meinen Sie bitte damit ?

VERKÄUFER Hören Sie: Sie haben sich für eine Kundin ein bißchen zu gutgläubig

angestellt und ich habe mir deshalb einen kleinen Spaß mit Ihnen er-

laubt, O.K. ? Sie könnten ja jetzt daraus gelernt haben, dass Sie beim

nächsten Mal einfach etwas vorsichtiger sind, wenn Ihnen ein Fremder

vertraulich kommt. Können wir uns darauf einigen ?

2. KUNDIN Ist Ihnen der Verkäufer dumm gekommen ?

KUNDIN Wie bitte ?

2. KUNDIN Ist er pampig geworden ? Entschuldigen Sie: Aber so hörte sich das

eben an.

VERKÄUFER Was geht Sie denn das an ?

KUNDIN Oh, nein, nein ! Nett, dass Sie fragen ! Aber dieser Herr hat mich ganz im Gegenteil sehr zuvorkommend bedient. Wirklich !

2. KUNDIN Na, dann !

VERKÄUFER Was haben Sie da eben gesagt ? Zuvorkommend ?

KUNDIN Wir haben uns richtig nett unterhalten. Hat man das nicht sehen können?

2. KUNDIN zweifelnd: Ach ja ?

VERKÄUFER Nun treiben Sie es mal nicht auf die Spitze ! Ich war ja vorhin noch

höflich, aber wissen Sie was: So absolut unsichere Frauen wie Sie

machen mich krank.

KUNDIN Er hat gleich gemerkt, dass ich eine ungewöhnliche Kundin bin. Das

war doch sehr einfühlsam von ihm, nicht ?

VERKÄUFER Diese unscheinbare Tussi will Charakter zeigen ! Was sagt man dazu?

KUNDIN Sofort hat er es gemerkt.

2. KUNDIN Entschuldigen Sie mal: Das hört sich aber irgendwie nicht nach einer

harmlosen Unterhaltung an.

VERKÄUFER Sie kommen sich jetzt wohl mächtig schlau vor, was ? Denken wohl, Sie

können noch Ihr Gesicht wahren, wenn Sie hier so eine Show abziehen.

KUNDIN Er hat mir vorhin gesagt, ich hätte es gar nicht nötig, so eine aufrei-

zende Bluse zu tragen. Das war doch nett von ihm !

2. KUNDIN Beruhigen Sie sich ! Wir holen jetzt den Geschäftsführer. Kommen Sie !

KUNDIN Er war erst so nett !

Pause.

VERKÄUFER So eine Enttäuschung !






Download der Hörspiel-Vertonung von 1994/95: Download
(Autorenproduktion)






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