 |
FOLGE DER EINHEIT
Der Mauerfall spaltete die Hamburger Punkmusik
Vielfach wird in diesem Herbst des 28. Jahrestages des Mauerfalls
gedacht. Aber neben dem historischen Jubiläum gibt es noch eine Reihe
weiterer ebenfalls nicht ganz unwichtige Jahrestage. So trat vor
ebenfalls fünfundzwanzig Jahren die Hamburger Band Abortive Gasp am 19. Dezember in der Altonaer Szenedisko ‚Kir‘
zum allerletzten Mal auf. Dass die Hansestadt damals ihre einzige
relevante Synthpunk-Combo verlor, hat mit den Ereignissen rund um den
Mauerfall mehr zu tun als einige Teile der Kulturszene wahrhaben
möchten.
Die musikalische Heimat der drei Musiker von Abortive Gasp – Tim Paal, Harry Lühr und Stefan Trienes - war das Norddeutsche Postpunk-Milieu, dessen Protagonisten Uli Rehberg (‚Walter-Ulbricht-Schallfolien‘) und Alfred Hilsberg
(‚Neue Deutsche Welle‘) in den späten Achtziger Jahren im politischen
Spektrum Linksaußen einzuordnen waren. Die Musik der Aborties war
typischerweise für ‚Punk‘ verstörend und rebellisch – allerdings auch
erklärtermaßen unpolitisch, da die drei jungen Männer schlicht zu
unbedarft waren, sich mit ihrem anarchischen Lebensgefühl als Dark Waver
dem linksradikalen Tenor der Hamburger Punkmusikszene unterzuordnen.
In den Wochen des Mauerfalls im Herbst `89 verfielen große Teile der
Norddeutschen Punkszene angesichts des menschlichen Triumphes des
Kapitalismus rheinischer über den Sozialismus real-existierender
Spielart in depressive Lethargie. Davon gänzlich unbekümmert traten Abortive Gasp munter in Hamburger Clubs, wie dem ‚Stairways‘, dem ‚Trinity‘ und eben dem ‚Kir‘, auf.
So wuchs der Unmut der hanseatischen Punks über die Aborties von Gig zu
Gig. Für die Szene war jeder in Hamburg eintreffende Trabi mit
vermeintlich glücklichen, dem real existierenden Sozialismus entkommenen
DDR-Bürgern ein Schnitt ins Fleisch des eigenen Weltbildes.
‚Reifere‘ Punk-Musiker, wie Schorsch Kamerun (‚Die goldenen Zitronen‘) und Rocko Schamoni,
verhielten sich in dieser Phase sehr still und bewiesen damit
Weitsicht, denn die Einheits-Euphorie verflog bekanntermaßen nach kurzer
Zeit. Paal, Lühr und Trienes jedoch verloren nach ihrem letzten
Auftritt am 19. Dezember `89 im Altonaer `Kir´, bei dem sie die
antitotalitären Slowenen von ‚Borghesia‘ musikalisch unterstützten, endgültig den Rückhalt in ihrem musikalischen Heimatmilieu und so löste sich die Gruppe auf.
Ob heutzutage junge Musiker eine Chance haben, den konformistischen
Zwängen der Musik- und Medienlandschaft zu widerstehen, darüber bieten
der jeweils 28. Jahrestag sowohl des Mauerfalls als auch der Auflösung Abortive Gasps Anlass zu reflektieren.
|
| |